- San-Andreas-Störung: Erdbebengefahr für Kalifornien
- San-Andreas-Störung: Erdbebengefahr für KalifornienKalifornien ist berüchtigt für seine zahlreichen, zum Teil verheerenden Erdbeben. Wegen der teilweise sehr dichten Besiedlung dieser Region spielt die Seismologie (Erdbebenkunde) dort eine große Rolle. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen vor und wie lassen sie sich zur Erdbebenvorhersage nutzen?Die Ursache der kalifornischen Erdbeben sind geologische Phänomene, die man Störungen, Verwerfungen oder im Englischen »faults« nennt. Solche Störungen sind an den Rändern der Platten zu finden, aus denen die Erdkruste besteht und die sich gegeneinander bewegen. Diese Bewegung kann nahezu unbemerkt als allmähliches Gleiten erfolgen, sie kann aber auch zu einer elastischen Verformung des Gesteins im Bereich der Verwerfung führen, einer allmählich zunehmenden Spannung, die schließlich in Form eines plötzlichen Rucks abgebaut wird und ein Erdbeben auslöst. Von diesem Phänomen sind neben dem 31. Bundesstaat der USA vor allem Indonesien, Japan, die Türkei und das nördliche Südamerika betroffen. In Kalifornien verläuft die Grenzlinie zwischen der Pazifischen und der Nordamerikanischen Platte auf einer Strecke von mehr als 1 100 Kilometern über Land. Die Hauptkomponente des resultierenden Störungssystems heißt San-Andreas-Störung.Die Theorie der Plattentektonik geht auf die im Jahr 1912 von Alfred Wegener (1880—1930) veröffentlichte Hypothese der Kontinentalverschiebung zurück. Wegener bemerkte, dass viele der heutigen Kontinente, insbesondere die Atlantikküsten Afrikas und Südamerikas, wie Teile eines Puzzles zueinander passen, und folgerte daraus, dass es vor etwa 225 Millionen Jahren einen zusammenhängenden Urkontinent (Pangäa) gegeben hat, der auseinander brach und dessen Bruchstücke seither voneinander wegdriften. Wegeners Theorie wurde damals von der Fachwelt ignoriert, obwohl sie auch eine Erklärung für das Phänomen der gleichen geologisch-tektonischen Struktur und Fossilien auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans bot.Um 1965 wurden Wegeners Hypothesen rehabilitiert, als die heute allgemein akzeptierte plattentektonische Theorie entwickelt wurde. Die grundlegende Annahme ist dabei, dass die äußerste Schicht der Erdkugel, die Erdkruste, welche unter den Ozeanen wesentlich dünner als unter den Kontinenten ist, aus einzelnen, mehr oder weniger starren Platten besteht. Diese sind unterschiedlich groß, unregelmäßig geformt und etwa 70—100 Kilometer dick und »schwimmen« auf schmelzflüssigem Gestein (Magma). Als Ursache für die Plattenbewegung gelten Konvektionsströmungen des Magmas.Die Platten können auseinander driften oder kollidieren, aber auch horizontal aneinander vorbeistreichen. Beim Auseinanderdriften entstehen Gräben (Rift-Valleys) oder Zonen der Krustenneubildung (Sea-Floor-Spreading), wo aus den Zentralspalten der mittelozeanischen Rücken magmatische Schmelze emporquillt. Bei der Kollision schiebt sich eine Platte unter die andere (Subduktion, meist schiebt sich eine ozeanische unter eine kontinentale Platte) oder es entstehen Auf- oder Überschiebungen, beispielsweise an den Kontinentalrändern. Scherbewegungen hingegen erzeugen seitwärts gerichtete (laterale) Versetzungen. Häufig sind horizontale und vertikale Komponenten zu räumlichen Schrägbewegungen kombiniert.Verlauf und Tektonik der San-Andreas-StörungDie San-Andreas-Störung wird oft auch als San-Andreas-Spalte bezeichnet. Diese Bezeichnung ist jedoch nicht korrekt, da sich die Platten im Falle Kaliforniens nicht auseinander bewegen, sondern fest gegeneinander gepresst und gleichzeitig aneinander vorbeigeschoben werden, wobei keine Spalte entsteht. Ebenso inkorrekt ist die Übersetzung des englischen Namens »San Andreas fault« als San-Andreas-Falte.Der nördlichste Ausläufer dieser Störung liegt im Pazifik und tritt am Punta Gorda an Land, rund 350 Kilometer nordnordwestlich von San Francisco. Bis dorthin verläuft sie entlang der kalifornischen Küste. Südsüdöstlich von San Francisco durchläuft sie Santa Clara und führt weiter entlang der Coast Ranges bis zum Mount Piños. Dort biegt sie in südöstlicher Richtung ab und führt in etwa 60 Kilometer Entfernung von Los Angeles entlang der San Gabriel Mountains. Bei San Bernadino verzweigt sie sich in die San-Jacinto- und die Banning-Störung, die sich ins Imperial Valley über Mexicali (Nordmexiko) zur Nordspitze des Golfs von Kalifornien fortsetzen.Das Kerngebiet der San-Andreas-Störung ist von einer Vielzahl kleinerer Nebenstörungen umgeben, die meist parallel, teils aber auch quer dazu verlaufen.Bei der San-Andreas-Störung handelt es sich im Unterschied zu den meisten anderen Verwerfungszonen der Welt fast um eine reine Lateral- oder Horizontalversetzung (englisch: »strike-slip fault«): Die Pazifische Platte bewegt sich im Bereich dieser Störung in Richtung Nordnordwest und die Nordamerikanische in die Gegenrichtung. Seit dem Beginn der Verschiebung vor etwa 20—30 Millionen Jahren haben sich ursprünglich benachbarte Punkte um gut 300 Kilometer voneinander entfernt. Zurzeit beträgt die relative Driftgeschwindigkeit an der Hauptverwerfung etwa 3,5 Zentimeter pro Jahr, insgesamt — einschließlich der Nebenstörungen — sogar fünf Zentimeter. Diese Differenz wird teils durch die plastischen Verformungen des Gesteins aufgefangen (Kriechen), teils durch die Verteilung auf das komplex verzweigte System von Nebenstörungen.Die weitaus meisten Erdbeben sind tektonische Beben, die auch Dislokationsbeben genannt werden. Andere, seltenere Ursachen für Erdbeben sind Vulkanausbrüche, der Einsturz unterirdischer Hohlräume oder die Belastung der Erdkruste durch sehr große Stauseen (unterirdische Atomwaffenversuche erzeugen ebenfalls seismische Wellen). Der Ausgangspunkt tektonischer Beben liegt oft in 50—100 Kilometer Tiefe und heißt Hypozentrum. Im Epizentrum, dem Punkt an der Erdoberfläche direkt über dem Hypozentrum, besitzt das Erdbeben die größte Heftigkeit. Das Hypozentrum sendet Schwingungen hoher Intensität aus, die sich — ähnlich wie Schallwellen in der Luft — im Inneren der Erde ausbreiten. Die Gesteinspartikel können dabei longitudinal, also in der Ausbreitungsrichtung vor und zurück, oder senkrecht zur Ausbreitungsrichtung hin und her (transversal) schwingen, was sich auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit auswirkt: Longitudinalwellen kommen rascher voran als Transversalwellen. Da das Gestein bei Longitudinalwellen ziehharmonikaartig gestaucht und gestreckt wird, heißen sie auch Kompressionswellen. Bei den auch Scherwellen genannten Transversalwellen wirken kurzzeitige Scherkräfte auf das Gestein ein, die es seitwärts verzerren. Weil Kompressionswellen an einem entfernten Ort zuerst spür- und messbar werden, nennt man sie auch Primär- oder P-Wellen. Die langsameren Scherwellen heißen Sekundär oder S-Wellen.Erdbebenwellen gehorchen den gleichen physikalischen Gesetzmäßigkeiten wie gewöhnliche Schallwellen. Sie werden beim Durchgang durch unterschiedlich dichte Zonen gebrochen (ändern ihre Ausbreitungsrichtung) und an der Grenzfläche zu einem weniger dichten Medium (zum Beispiel Luft oder Wasser) reflektiert. Dies ist insbesondere an der Erdoberfläche der Fall. Ebenso wie Schallwellen werden sie bei der Ausbreitung gedämpft, verlieren also an Intensität. Kompressionswellen wandeln sich an der Erdoberfläche zum Teil in Scherwellen um, die sich auf der Oberfläche fortpflanzen. Diese heißen L- oder Love-Wellen, breiten sich von allen Wellen am langsamsten aus, sind aber wesentlich zerstörerischer als P- oder S-Wellen.Die Schwingungen eines Erdbebens liegen an der Untergrenze des menschlichen Hörvermögens und darunter. Ein Beben ist daher eher spür- als hörbar. Das Eintreffen einer P-Welle äußert sich meist durch eine plötzliche Erschütterung, dem kurz darauf ein Knall und etwas später Oberflächenwellen folgen, die schaukelnde Bewegungen verursachen.Für die Heftigkeit von Erdbeben gibt es zwei verschiedene Maße, die Magnitude und die Intensität. Die Magnitude oder Größenordnung wird mithilfe eines Seismographen (Schwingungsmesser) gemessen und ist ein Maß für die ausgelösten Bodenbewegungen. Sie wird auf der Richterskala gemessen, die nach dem amerikanischen Geophysiker Charles F. Richter (1900—1985) benannt wurde, und ist eine logarithmische Größe. Das bedeutet, dass ein Seismograph beispielsweise bei einem Beben von Magnitude 7 zehnmal weiter ausgelenkt wird als bei M 6 und hundertmal weiter als bei M 5; Erdbeben beginnen etwa ab M 5 gefährlich zu werden. Die Intensität, welche meist nach der modifizierten Mercalliskala eingestuft wird, ist hingegen kein instrumentelles Maß, sondern ein nach den verursachten Effekten geschätztes. Die Erdbeben werden auf diese Weise in zwölf Stufen eingeteilt. Ab Grad IV sind Beben deutlich spürbar, Grad-VIII-Beben verursachen schwere Gebäudeschäden, und bei Grad XII erfolgt totale Zerstörung. Die Intensität nimmt mit dem Abstand vom Epizentrum ab. Sie ist auf lockeren Böden um zwei bis drei Grade höher als auf benachbarten Felsböden.Bei einem tektonischen Erdbeben verschiebt sich in der Regel nicht das gesamte Einzugsgebiet einer Störung, sondern nur ein kleiner Teilbereich. Die Spannung im Boden verlagert sich dabei vom Kerngebiet des Bebens entlang der Störung in benachbarte, unbewegte Bereiche und kann dort zu einem späteren Zeitpunkt zu Erdbeben führen. Die heftigsten Beben entstehen in Gebieten, in denen jahrzehntelang Ruhe herrschte, da sich bei einer solchen »Blockade« im Laufe der Zeit eine enorme mechanische Spannung aufbaut.Die Landstriche im Nahbereich der San-Andreas-Störung liegen über potenziellen Hypozentren, werden also von resultierenden Erdbeben schlimmer betroffen als weiter abseits liegende Gebiete. Speziell die Metropole San Francisco liegt fast genau auf der Störung, und ein Tunnel der dortigen Schnellbahn führt direkt durch die Verwerfungszone. Das letzte große Beben dort, es fand 1906 statt, hatte Grad XI auf der modifizierten Mercalliskala beziehungsweise die Richtermagnitude 8,3 und zerstörte fast die ganze Stadt. Die Häuser, die nicht dem Beben zum Opfer fielen, verbrannten in der anschließenden Feuersbrunst. Einige Gebäude, die auf lockerem Untergrund standen, wurden regelrecht vom Boden verschluckt. Abgesehen von zwei wesentlich schwächeren Beben in den Jahren 1940 und 1989 herrscht dort seither seismische Ruhe, weshalb mit einem weiteren Jahrhundertbeben jederzeit zu rechnen ist.ErdbebenschutzZur Erdbebenvorhersage bedient man sich eines großen Arsenals von Messverfahren. Dazu gehören die Messung tektonischer Verschiebungen mithilfe von Lasertheodolithen oder durch Satellitenunterstützung (GPS, Global Positioning System), Bebenmessung mit empfindlichen, computergekoppelten Seismometern, Beobachtung des Standes und der chemischen Zusammensetzung von Grundwasser, Tiefbohrungen bis zu vier Kilometern mit diversen Messungen wie Schall- und Neutronenausbreitung, geochemische Analysen, Druck-, Spannungs- und Durchlässigkeitsmessung des Untergrunds, beispielsweise in Parkfield (Kalifornien).Trotz ausgefeilter Messmethoden ist eine zuverlässige Vorhersage noch immer nicht möglich. Am klügsten wäre es daher, bekannte Risikogebiete zu meiden. Da in den betroffenen Regionen aber viele Menschen ihren angestammten Wohn- oder Geschäftssitz haben, muss man sich mit prophylaktischen Maßnahmen behelfen. Als sinnvolle bauliche Maßnahmen zum Erdbebenschutz haben sich die Leichtbauweise mit Seitenversteifung und tief liegendem Schwerpunkt sowie eine Gebäudelagerung auf Gelenken und der Einbau von Dämpfungselementen erwiesen. Auch der Einsatz von seismischen Sensoren, die bei heftigen Beben automatisch Gasleitungen sperren und die Hochspannungsversorgung abschalten, hat sich in Kalifornien und anderen erdbebengefährdeten Gebieten bewährt. Einwohner von Erdbebengebieten sollten stets auf das Schlimmste gefasst sein und regelmäßig ein vorbeugendes Training für den Ernstfall absolvieren.Geodynamik und Plattentektonik, herausgegeben vonMichael A. Collier: Land in Motion. California's San Andreas Fault. Berkeley, Calif., 1999.Philip L. Fradkin: Magnitude 8. Earthquakes and Life along the San Andreas Fault. Berkeley, Calif., 1999.Erdbebenrisiko in Kalifornien, Tonfilm. Landesbildstelle Berlin, 16-mm-Tonfilm Nr. 3203377. ohne Ort 1982.Götz Schneider: Erdbebengefährdung. Darmstadt 1992.Kenneth Brown: Cycles of Rock and Water; At the Pacific Edge. London 1993.Erdbeben in Kalifornien. Die San-Andreas-Spalte, Video. Universität Potsdam, Video Nr. 00464. Potsdam 1994.Bruce A. Bolt: Erdbeben: Schlüssel zur Geodynamik. Heidelberg 1995.
Universal-Lexikon. 2012.